Die lange Suche nach dem Vater
Im Sommer 1945 lernte meine Mutter einen sympathischen russischen Soldaten kennen, der ihr Lebensmittel brachte und anbot, im Garten mitzuhelfen. Wahrscheinlich verliebte sie sich ein bisschen in ihn, denn sie sprach immer nur gut von ihm. Leider dauerte die Bekanntschaft nicht lange, er musste weg aus St. Pölten. Doch da war ich schon unterwegs. Sie hat nie wieder etwas von ihm gehört. Im Frühjahr 1946 bin ich geboren.
Erst als ich neun Jahre alt war und die Besatzung im Jahr 1955 abgezogen war, sagte mir meine Mutter die Wahrheit über meine Herkunft. Bis dahin hatte ich nicht die leiseste Ahnung. Niemand, weder die Verwandten, noch die Nachbarn oder in der Schule, hatte mir gegenüber jemals irgendeine Anspielung gemacht oder gar etwas Abfälliges gesagt.
Alles, was mir meine Mutter erzählen konnte, war sein Vorname Michail, den Familiennamen wusste sie, da sie ihn nicht aufgeschrieben hatte, nur mehr ungefähr: nämlich Groman oder Grosman, mögliche Varianten könnten sein: Chroman, Kroman, Krochman oder ähnliches. Den Vaternamen kannte meine Mutter leider nicht. Er sagte ihr, dass er aus Twer (damals Kalinin) sei. Die Stadt Twer oder das Gebiet Twer? Wir wissen es nicht. Er soll sechs Jahre jünger als meine Mutter gewesen sein, also war er im Jahre 1945 etwa 30 Jahre alt, da meine Mutter im Sommer 1945 im 37. Lebensjahr war (geb. im Dezember 1908). Somit nehme ich an, dass er Jahrgang 1915 (möglich auch 1914-16) war. Einige Verwandte sagten mir später, mein Vater sei ein russischer Offizier gewesen, aber sicher bin ich nicht, da meine Mutter das nie erwähnt hat. Leider habe ich auch kein Foto von ihm.
Das wirklich Heldenhafte an meiner Mutter war, dass sie niemals an eine Unterbrechung der Schwangerschaft dachte, obwohl sie es sicher nicht leicht hatte. Sie hatte schon meine Schwester praktisch allein aufgezogen, denn deren Vater war kurz nach ihrer Geburt durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
Die Idee, meinen Vater zu suchen, tauchte erst sehr spät in meinem Leben durch eine Sendung der BBC, in der von „Liberation children“ und deren erfolgreiche Suche nach ihren Vätern berichtet wurde, auf. Das war 1996 und meine Mutter war bereits verstorben. So konnte ich ihr auch keine Fragen mehr stellen. Ich lebte damals in Frankreich. Ein Jahr später übersiedelte ich nach Österreich. Durch die Übersiedlung, die Arbeitssuche und als Alleinerzieherin von drei Kindern verging wieder wertvolle Zeit bevor die Suche begann.
Wohin sollte man sich wenden? Es dauerte lange, bis ich die richtige Stelle, nämlich das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung ausfindig machen konnte und von dort die ersten Anstöße zu einer gezielten Suche bekam.
Ich fing an, die russische Sprache zu lernen und fuhr ab 2002 fast jedes Jahr nach Russland.
Nach und nach lernte ich auf Konferenzen und bei meinen Russlandbesuchen kompetente Leute kennen, die sich sehr für mich einsetzten. Historiker, Militärangehörige, Mitarbeiter von Archiven, Kriegsveteranen, Journalisten, Privatleute. Zusammen schrieben wir Archive und alle Stellen an, die in Frage kamen. Es erschienen Artikel in russischen Zeitungen und ich wurde zur TV Sendung Schdi-menja (=Warte auf mich) eingeladen. Es wurde jedem Hinweis nachgegangen, aber der richtige konnte nicht ausfindig gemacht werden. Immer wieder bekam ich negative Antworten.
Manchmal glaube ich, ich bin am Ende der Möglichkeiten und doch tun sich immer wieder Wege auf, die ich versuchen kann. Freilich ist das nur durchführbar mit der aktiven Unterstützung meiner Freunde und Helfer, mit denen ich ständig in Kontakt bin.
Mit den wenigen Angaben über meinen Vater ist es leider unendlich schwer, nach ihm zu suchen. Trotzdem verliere ich nicht die Hoffnung, und vor allem: solange noch irgendein Hoffnungsschimmer besteht, gebe ich nicht auf.
Eleonore Dupuis
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