22.09.2014 15:38

BERICHT einer französischen TOCHTER

Erzählt von Frau F.  ---

 

WIEN - mein Beginn als Besatzungskind.

Vater bzw. mein Erzeuger  war französischer Besatzungssoldat/ Brigadier in Wien.  Meine Mutter arbeitete bei einer französischen Familie - durch diese lernten sie sich  kennen und lieben. Die bis heute andauernde große Liebe ihres Lebens. Als sie mit mir schwanger war, teilte sie ihm das mit.

Von da an begann die "SUCHE" nach ihm.

Er wurde versetzt,  er sei in Korea, immer wenn meine Mutter  nachfragte, gab es diese Antworten, zuletzt er sei gefallen. Briefe, Fotos  die sie von ihm bekam, wurden ihr weggenommen. Briefumschläge, Karte und ein Armketterl  sind ihr geblieben. Sie wurde oft verhört, ausgefragt,  aber sie wusste nichts, warum, wieso...Das Wort Russen hörte ich sehr oft von ihr. Diese Angst von damals - verfolgt meine Mutter bis heute. Als kleines Kind wollte man mich wegholen, meine Großmutter verhinderte das.

Mutter zog in ihren Heimatort nach Niederösterreich und brachte mich im September 1952 zur Welt.

ER hat mich NIE gesehen.

Vor seinem Abgang aus Österreich hat er bei den französischen Behörden eine ERKLÄRUNG abgegeben, welche, ist mir bis heute nicht bekannt. Bei meinen Recherchen stellte sich heraus, dass er von 1951 bis 1953  in Österreich war. Er  wusste meinen Vor- und Familiennamen, Geburtsdatum und Adresse von Wien. Vergeblich war die Suche nach ihm, er wurde aufgefordert sich freiwillig zu seinem Kind zu bekennen.

Er tat es nicht.

Meine Mutter musste wieder arbeiten gehen. Die Großeltern mütterlicherseits hatten selber viele Kinder.

So begann mein sogenanntes "WANDERLEBEN".

Ich kam als  Baby  zu  einem  Bauern in Niederösterreich, die ließen mich liegen und kümmerten sich nicht um mich. Eine Tante hörte das, holte mich und brachte mich zu den Großeltern. Tante sagte mir im Erwachsenen Alter: hätte ich dich nicht geholt,  würdest nicht mehr leben. Du hattest einen offenen Popsch...ich lag im Urin und Stuhl...

Weitere Stationen: Wien, Burgenland, N.Ö., Salzburg, wieder N.Ö., 6 Wohnorte in der Steiermark.

Volksschule in Salzburg, Niederösterreich und Steiermark. Hauptschule an 2 Wohnorten in der Steiermark. Berufsschule: Steiermark Von den Großeltern  und Schulfreunden weg zu kommen - das war für mich  immer sehr traurig. Vor kurzem sagte meine Mutter: Sei froh, dass ich dich nicht in ein Heim gegeben habe.

Es gab unter anderem  eine Zeit mit Stiefvater  - die war schlimm. Zuschauen müssen, wie er die Mutter schlug. Zum Essen:  was er übrig ließ, das kam öfters  vor.

Ich war ein Fürsorgekind, ein lediges Kind, man wurde behandelt, als wäre man als lediges Kind ohne Vater nicht  viel wert. Von meiner Mutter hörte ich früher öfters: du bist schuld - das ich so viel krank bin. Interessant war für mich schon als Kind: wenn  ich gefragt wurde - wer mein Vater sei - und ich antwortete - er sei ein Franzose, das war für alle positiv. Aber ich wurde immer  negativ  behandelt. Es kam auch öfters vor, das man mir nicht geglaubt hatte - das mein Vater ein Franzose sei.

Ich fragte schon sehr früh nach meinem Vater. Meine Mutter sagte mir immer  seinen Vor - und  Familiennamen und  wo er in Frankreich wohnt. NIE  hörte ich sein Geburtsdatum.

Unternimm nichts, suche nicht nach ihm, du bekommst Schwierigkeiten so wie ich  - das hörte ich immer wieder.

Mit 19 bekam ich mein erstes Kind. Mutter sagte: Verschwinde, ich brauche kein lediges Kind. Mit 20 Jahren fragte ich beim Roten Kreuz, bekam  keine Hilfe. Vor meiner Heirat schrieb ich (mit Unterlagen aus den 50 er Jahren) ans Bundesministerium in Wien. Die konnten  mir nicht weiter helfen,  ich konnte nichts vorlegen.

Dann schrieb ich an eine Adresse (die fand ich in einem alten Brief) an meinen Vater.

Der Brief kam zurück mit "Unbekannt".

2006 kam ein Anruf aus N.Ö.

Ein Brief von einem Ahnenforscher aus Frankreich wurde zuerst nach Wien - dann in meine Geburtsheimat gesendet.

Man suchte mich.

Da erfuhr ich  im selben Moment Vater's  Geburts-und Sterbedatum. Mir zog es fast den Boden unter den Füßen weg, einerseits zu erfahren - er hat doch noch gelebt  und hat mich nie gesehen. Und gleichzeitig zu erfahren, er ist gestorben. Mein Vater hat mich im Testament angegeben, mit Vor - und Familiennamen, Geburtsdatum und Adresse von Wien.

Aber ohne das Wort "TOCHTER".

Dann begann das Suchen nach Beweisen, Unterlagen etc... zum Notar Unterschrift beglaubigen und vieles mehr. Habe alle möglichen Ämter angeschrieben, bekam unter anderen auch eine VÄTERKARTEI - leider  ohne Unterschrift von ihm. Ich habe Unterlagen erhalten - wo ich erschüttert war und bin - was da  aufscheint. Hätte ich das Testament abgelehnt - wüsste  ich heute  nichts  über den Vater. So habe ich eingewilligt - aber gleichzeitig auf ein  Haupterbe -  mit  franz. Notar -  verzichtet.

Mir war und ist  wichtig - zu wissen, wo sind meine franz. Wurzeln, habe ich Verwandte? Ich nahm unter vielen  anderen auch Kontakt mit der Botschaft in Paris auf. Von dort  wurde der Ahnenforscher gebeten, heraus zu finden ob es eine Familie gibt. Ja, und dann kam endlich die Nachricht mit der Email Adresse meines Halbbruders. Eine Halbschwester ist verstorben.

Am HL. ABEND 2008 bekam ich die "ERSTEN  FOTO" vom Vater,  Halbbruder und seinen Sohn. So, nun war es soweit, mit 56 Jahren sah ich zum ersten Mal - wie der  Vater aussah.

Diesen Hl. Abend werde ich nie vergessen, ich zeigte meinen Kindern - wie ihr franz. Großvater aussah.

Es begann ein erstes vorsichtiges Antasten per Email mit dem neu gefundenen Halbbruder.

Bald kam die Anfrage wegen DNA Test. Univ.-Prof. Mag. DDr. PETEK aus GRAZ hat mir dabei sehr geholfen. Ich fühlte mich vom ihm sehr gut verstanden und beraten. DANKE an Ihm und seine Mitarbeiterin / Kollegin - die französisch übersetzt hat. 97,8 % war das Ergebnis - für den Halbbruder leider zu wenig. Ein sehr  großes Thema war auch die Blutgruppe.

Trotz allen Anfangsschwierigkeiten war es voriges Jahr  so weit.   Mein Sohn, eine Freundin der Kinder und ich mit 61,  fuhren zum ersten Mal in die Heimat meiner französischen Wurzeln. Wir wurden vom Halbbruder in dessen Haus empfangen, bewirtet und hatten bei ihm die Unterkunft. Am Nachmittag fuhren wir mit seinem Sohn zum Grab des Vaters, wie es mir dort ergangen ist - kann ich nicht mit Worten beschreiben.

Mein Neffe bemühte sich sehr, mir auf viele Fragen Antwort zu geben, er erfuhr vieles von mir über seinen Großvater und meiner Mutter. Im Vorfeld dachte ich mir: Fragen werde ich nicht "WARUM" - ich bekomme ja am Grab keine Antwort. Ich bin am "ZIEL" angekommen - das war immer mein Wunsch -  aber sehen konnte ich ihn nicht mehr. Vater starb alleine - niemand von der Familie wusste von seinem Tod. Der Halbbruder kam nicht mit zum Friedhof, er hatte 20 Jahre keinen Kontakt mit dem Vater.

Am selben Abend wurden wir vom Bruder meines Vaters und seiner Frau eingeladen. Sie hatten den Urlaub um einen Tag verschoben - um mich  zu sehen. Onkel sagte: KOMMT ALLE, gehen wir in den Garten und machen wir ein FAMILIEN FOTO. Tante sagte: ICH MÖCHTE DICH  GERNE WIEDERSEHEN. Ich war so gerührt und erfreut über diese Aussagen.

Wir waren 7 Tage in Frankreich, mein Halbbruder zeigte uns so vieles, er war auch mit uns im Ferienhaus, wo er mit seinem Vater /seiner Familie die Kindheit verbracht hat. Sonntags war ich mit ihm alleine -  kochten zusammen ein typisch französisches Essen. Die Jugend war in der Stadt, mein Halbbruder kam mit einer alten BLECHDOSE aus seinem Büro. Drinnen waren viele Fotos vom Vater aus seiner Zeit in Österreich. Das ERSTE FOTO oben auf war von meiner MUTTER.

HEUTE  habe ich die Aussagen und Erinnerungen meiner Mutter, die meiner französischen Familie und viele Unterlagen usw... aus dieser Zeit. In alten Unterlagen und auch aus Erinnerungen scheinen Unwahrheiten/Lügen auf, die niemals so waren. Ich, als das Ergebnis dieser Beziehung  mache mir meine eigenen Gedanken über mein  Schicksal als BESATZUNGSKIND.

Vielleicht erfahre ich eines Tages, was damals  wirklich geschehen ist.

Auch wenn ich es meinem verstorbenen Vater persönlich nicht mehr sagen kann - DANKE das du dich wenigstens - aus welchem Grund auch immer - erst am Ende deines Lebens an mich erinnert hast.

DANKE an meinen Sohn - der mir diese Reise ins Land meines Vaters als Weihnachtsgeschenk gab und so gut übersetzt hat.

Auch  an die Freundin meiner Kinder VIELEN DANK - sie hat  perfekt übersetzt und für sie war das ein einmaliges Erlebnis.

MERCI BEAUCOUP (DANKE SCHÖN)  an meine französische Familie - das sie mich "NICHT" abgelehnt haben und so herzlich aufgenommen haben. Sie wussten von der französischen Großmutter nur: das es eventuell ein Kind in Österreich gibt.

Ein herzliches DANKE an FR. DR. BARBARA STELZL-MARX, auch sie stand  mir bei meiner doch sehr schwierigen, aufwühlenden, aufregenden Suche  zur Seite.   

An Fr. Franziska LACOMBE (Ansprechperson in Österreich von Herzen ohne Grenzen,) vielen DANK für ihre Hilfe, Übersetzungen usw. Für diesen Verein bin ich die einzige - wo ein französischer  Besatzungssoldat das  Kind  im Testament angab. Und auch die einzige - die so viele Unterlagen etc... hat.

P.S.: Ich habe sehr viel gelesen über unsere Zeit - das Schicksal der Besatzungskinder/ Nachkriegszeit etc...  das hat mir enorm geholfen - alles, auch meine Mutter besser zu verstehen.

          VERSTEHEN kann ich es überhaupt  nicht - warum es in der heutigen Zeit noch immer so schwierig ist, uns "BESATZUNGSKINDERN" bei der Suche zu helfen, bzw. zu unterstützen.

          Wir sind ganz auf unsere eigene Initiative angewiesen.

          WER sucht mit uns - WER fährt mit uns in das Land der Besatzungsväter - WER übersetzt uns?

          Es wäre sehr wichtig, auch dieses Kapitel der Zeitgeschichte endlich aufzuarbeiten.

          Unsere Mütter wurden mit dem Kind des  Besatzungssoldaten, der plötzlich verschwunden ist, ganz alleine gelassen.

          Wir sind es ihnen schuldig - rasch zu handeln.

 

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